Formfindung, Strukturoptimierung und Systemoptimierung adaptiver Tragwerke

Forschungsprojekt

(Teilprojekt A04 im Sonderforschungsbereich SFB 1244)

Überblick

  • Formfindung für adaptive Flächentragwerke
  • Optimierungsmethoden für adaptive Systeme
  • Kriterien für die Systemoptimierung adaptiver Tragwerke

Projektbeschreibung

„Ziele des Teilprojekts A04 sind die Weiterentwicklung von Methoden zur Formfindung und Optimierung adaptiver Tragwerke sowie deren Anwendung auf die Stuttgart SmartShell. Der zentrale innovative Aspekt ist die ganzheitliche Systemoptimierung adaptiver Tragwerke (im Gegensatz zur nachträglichen 'optimalen' Adaption zunächst passiver Tragwerke). Für den Optimierungsbegriff muss deshalb zwischen der Optimierung des Systemverhaltens durch Adaption und der Optimierung des adaptiven Systems als Ganzes unterschieden werden. Die Beeinflussbarkeit des Tragverhaltens durch Adaption von Kräften, Verschiebungen und Steifigkeiten ist eine intrinsische Eigenschaft eines statischen Systems, die bislang nicht systematisch erforscht ist. Die Stuttgart SmartShell bietet als Prototyp eines adaptiven Flächentragwerks die einmalige Chance, die im Rahmen dieses Projektes angewandten und neu entwickelten Methoden experimentell zu begleiten.“ (Quelle: DFG-Projektbeschreibung)

 

Formfindung für adaptive Flächentragwerke

Als Formfindung bezeichnet man das inverse Problem der Statik, bei dem innere Kräfte oder Spannungen vorgegeben sind und eine dazu passende Form gefunden wird. Grundlage der bekannten Formfindungsmethoden ist ein formbestimmender Lastfall (in der Regel das Eigengewicht). Vergleichbare Methoden für mehrere Lastfalle oder adaptive Systeme sind bisher nicht hinreichend erforscht. Deren Entwicklung stellt daher ein Forschungsziel dar. Ein weiteres wissenschaftliches Ziel ist es, Formfindungsmethoden auf Systemfindungsmethoden zu erweitern.

Im bisherigen Verlauf der Bearbeitung wurde ein auf der klassischen Kraftdichtemethode basierendes nichtlineares Verfahren so erweitert, dass für räumliche adaptive Fachwerke unter mehreren statischen Lastfällen Gleichgewichtsformen gefunden werden können, die den Tragwerksentwurf charakterisierende Bedingungen berücksichtigen.

Bezüglich der Erweiterung hin zu Systemfindungsmethoden wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Systemdynamik (ISYS) der Universität Stuttgart die sog. Störgrößenkompensierbarkeitsmatrix entwickelt (Wagner et al. (2018)). Hierbei handelt es sich um eine spezielle lastfallunabhängige Gram'sche Matrix, welche die Eigenschaft eines Tragwerks zur Adaption von Systemzuständen (wie Verschiebungen und Kräfte).

Auf dieser Basis wurde ein Algorithmus zur Platzierung von Aktoren in adaptiven Fachwerken mit dem Greedy-Verfahren, einem heuristischen Optimierungsverfahren, entwickelt. Untersuchungen an Fachwerkmodellen unter statischer Belastung haben ergeben, dass die (theoretisch) bestmögliche Kompensierbarkeit der inneren Kräfte dann erreicht wird, wenn die Anzahl serieller Aktoren dem Grad der statischen Unbestimmtheit des Tragwerks n entspricht und Aktoren in allen Teiltragwerken platziert werden, die Redundanzen aufweisen, d. h. innerlich statisch unbestimmt sind. Zusätzliche Aktoren haben keinen weiteren Effekt auf die Kompensierbarkeit der inneren Kräfte, da der Bildraum der zugehörigen Kompensierbarkeitsmatrix die Dimension n hat (Wagner et al. (2018)).

Optimierungsmethoden für adaptive Systeme

Im Zusammenhang mit analytischen und numerischen Methoden ist eine scharfe Trennung von Formfindung und Formoptimierung nicht möglich. Formfindungsaufgaben können auch als mathematisches Optimierungsproblem formuliert werden. In diesem Kontext wurde in Kooperation mit dem Institut für Technische und Numerische Mechanik (ITM) der Universität Stuttgart eine parametrische Modellreduktionsmethode für geometrisch parametrisierte Systeme hergeleitet und zur effizienten Formoptimierung eines adaptiven Brückentragwerks eingesetzt (Fröhlich et al. (2019)).

Optimierung Stuttgarter Träger ITM
Ergebnisse einer Formoptimierung für ein adaptives Rahmentragwerk, siehe Fröhlich et al. (2019)

Ein zentrales Ergebnis dieses Teilprojektbereichs ist die Verifikation der folgenden Hypothese: Die Adaption eines optimierten Tragwerks ist der Optimierung eines adaptiven Tragwerks unterlagen. Das heißt, dass eine aufeinander folgende Optimierung eines Tragwerks und seiner adaptiven Elemente einer integralen Systemoptimierung prinzipiell unterlegen ist. Dies konnte durch analytische Untersuchungen und numerische Berechnungen gezeigt werden (Geiger et al. (IFAC, 2020)).

OPtimierung Lagerabstand
Optimierung des Lagerabstands eines Rahmenträgers zur Minimierung des Aktuierungsmoments in Geiger et al. (IFAC, 2020)

Weiterhin wurden Strategien zum Entwurf und der Optimierung adaptiver Strukturen u. a. hinsichtlich des Masseneinsparungspotenzials erarbeitet (Geiger et al. (BB14, 2020); Geiger et al. (Frontiers, 2020)). Dazu wurden konventionell entworfene Fachwerke unter verschiedenen Nebenbedingungen für den passiven und den aktiven Fall ausgelegt und die nötigen Massen verglichen. Es stellte sich heraus, dass für die untersuchten Tragwerkstypen durch den Einsatz von Aktoren nur wenig Masse eingespart werden kann, wenn maximale Spannungen maßgebend für die Bemessung sind. Sind für die Bemessung dieser Stabtragwerke jedoch Verformungsbeschränkungen maßgebend, so können durch den Einsatz von Aktoren signifikante Massenreduktionen erzielt werden.

Kriterien für die Systemoptimierung adaptiver Tragwerke

In diesem Teilprojektbereich geht es um die (Weiter-)Entwicklung von Kriterien für optimale Formen und Topologien für adaptive und aktivierbare Stab- und Flächentragwerke. Im Sinne einer ganzheitlichen Systemoptimierung wird das adaptive Tragwerk als System aus Struktur, Sensoren und Aktoren betrachtet.

Im bisherigen Verlauf der Bearbeitung wurden Ansätze aus der Regelungstechnik aufgegriffen und die oben genannte Störgrößenkompensierbarkeitsmatrix betrachtet. Für die entwickelte Aktorplatzierungsmethode (siehe oben) wurde eine aus regelungstechnischer und strukturmechanischer Sicht sinnvolle Interpretation der modalen Eigenschaften der Störgrößenkompensierbarkeitsmatrix entwickelt (Wagner et al. (2019)).

Weiterhin wurde das Redundanzkonzept (von Scheven et al. (2020); Geiger et al. (BB14, 2020)) herangezogen. Aus Basis der Analyse der algebraischen Räume der Redundanzmatrix wurden mehrere von der Redundanzmatrix abgeleitete, skalare Gütemaße für die Adaptierbarkeit von Kraftzuständen bei statischem Verhalten erarbeitet. Diese wurden anschließend einem am Institut für computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart entwickelten agentenbasierten System zur explorativen Generierung adaptiver Stabtragwerke zur Anwendung gebracht.

Visualisierung von lokaler und globaler Informationen zur Adaptierbarkeit (Quelle: ICD)

Projektdaten

Projekttitel:
Teilprojekt A04 - Formfindung, Strukturoptimierung, Systemoptimierung adaptiver Tragwerke
Projekt-Website
Förderung:

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Sonderforschungsbereich SFB 1244 "Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen", GEPRIS-Projektnummer 324661605
Projektpartner:

Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK), Universität Stuttgart
Bearbeitung:
Axel Trautwein, Lisa-Marie Krauß

Veröffentlichungen

  1. Krauß, L.-M., Maierhofer, M., Prokosch, T., Trautwein, A., von Scheven, M., Menges, A., & Bischoff, M. (2024). Baustatische Methoden für Entwurf, Auslegung und Betrieb adaptiver Tragwerke. In B. Oesterle, A. Bögle, W. Weber, & L. Striefler (Hrsg.), Berichte der Fachtagung Baustatik – Baupraxis 15, 04. und 05. März 2024, Hamburg (S. 101--108). https://doi.org/10.15480/882.9247
  2. Reksowardojo, A. P., Senatore, G., Bischoff, M., & Blandini, L. (2023). Design and Control Benchmark of Rib-Stiffened Concrete Slabs Equipped with an Adaptive Tensioning System. Journal of Structural Engineering, 150(1), Article 1. https://doi.org/10.1061/JSENDH.STENG-12320
  3. Trautwein, A., Prokosch, T., & Bischoff, M. (2023). A case study on tailoring stiffness for the design of adaptive rib-stiffened slabs. X ECCOMAS Thematic Conference on Smart Structures and Materials, SMART 2023, Patras, Greece. https://doi.org/10.7712/150123.9821.444802
  4. Trautwein, A., Prokosch, T., Senatore, G., Blandini, L., & Bischoff, M. (2023). Analytical and numerical case studies on tailoring stiffness for the design of structures with displacement control. Frontiers in Built Environment, 9. https://doi.org/10.3389/fbuil.2023.1135117
  5. Geiger, F. (2022). Strukturmechanische Charakterisierung von Stabtragwerken für den Entwurf adaptiver Tragwerke. Doktorarbeit, Bericht Nr. 74. Institut für Baustatik und Baudynamik der Universität Stuttgart. https://doi.org/10.18419/opus-12299
  6. Krake, T., von Scheven, M., Gade, J., Abdelaal, M., Weiskopf, D., & Bischoff, M. (2022). Efficient Update of Redundancy Matrices for Truss and Frame Structures. Journal of Theoretical, Computational and Applied Mechanics. https://doi.org/10.46298/jtcam.9615
  7. Geiger, F., Gade, J., von Scheven, M., & Bischoff, M. (2020). Optimal Design of Adaptive Structures vs. Optimal Adaption of Structural Design. IFAC-PapersOnLine, 53(2), 8363--8369. https://doi.org/10.1016/j.ifacol.2020.12.1604
  8. Geiger, F., Gade, J., von Scheven, M., & Bischoff, M. (2020). Anwendung der Redundanzmatrix bei der Bewertung adaptiver Strukturen. Manfred Bischoff, Malte von Scheven, Bastian Oesterle (Hrsg.) Berichte der Fachtagung Baustatik – Baupraxis 14, 23. und 24. März 2020, Universität Stuttgart, 119–128. https://doi.org/10.18419/opus-10762
  9. Fröhlich, B., Gade, J., Geiger, F., Bischoff, M., & Eberhard, P. (2019). Geometric element parameterization and parametric model order reduction in finite element based shape optimization. Computational Mechanics, 63, 853–868. https://doi.org/10.1007/s00466-018-1626-1
  10. Fröhlich, B., Geiger, F., Gade, J., Bischoff, M., & Eberhard, P. (2018). Model order reduction of coupled, parameterized elastic bodies for shape optimization. IUTAM Symposium on Model Order Reduction of Coupled Systems, May 22–25, 2018, Stuttgart, 151--163. https://doi.org/10.1007/978-3-030-21013-7_11
  11. Wagner, J. L., Gade, J., Heidingsfeld, M., Geiger, F., von Scheven, M., Böhm, M., Bischoff, M., & Sawodny, O. (2018). On steady-state disturbance compensability for actuator placement in adaptive structures. at – Automatisierungstechnik, 66, 591–603. https://doi.org/10.1515/auto-2017-0099

Kontakt:

Dieses Bild zeigt Axel Trautwein

Axel Trautwein

M. Sc.

Akademischer Mitarbeiter

Dieses Bild zeigt Lisa-Marie Krauß

Lisa-Marie Krauß

M. Sc.

Akademische Mitarbeiterin

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