Projektbeschreibung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Entwicklung einer hierarchischen Familie von Schalenmodellen und deren Diskretisierung basierend auf NURBS (Non-Uniform Rational B-Splines) Funktionen für die numerische Analyse von Schalenstrukturen.
Als mechanisches Basismodell wird eine mittelflächenparametrisierte 3-Parameter-Formulierung mit Kirchhoff-Lovescher Schalenkinematik verwendet. Diese eignet sich im Besonderen für die Modellierung von dünnen Schalen, deren Deformationsverhalten maßgebend durch Biege- und Membranverformungen bestimmt wird. Einflüsse aus Querschubverformungen und Dickenänderungen der Schale werden folglich nicht berücksichtigt. Für die Beschreibung der Kinematik genügen somit drei unabhängige Parameter, welche bei diesem Modell den drei Verschiebungskomponenten eines Materialpunktes der Mittelfläche entsprechen. Es werden keine zusätzlichen Rotationsfreiheitsgrade eingeführt, so dass die Schalenformulierung rotationsfrei ist.
Die verwendeten kinematischen Gleichungen beruhen auf der Annahme kleiner Verformungen. Zudem werden die Materialeigenschaften als linear-elastisch und isotrop definiert und über das Hookesche Konstitutivgesetz eine lineare, algebraische Beziehung zwischen den auftretenden Spannungen und Verzerrungen beschrieben. Für die asymptotische Korrektheit des Modells wird in den Materialgleichungen die Spannungsannahme σ33=0 zur Elimination von ε33 mit Hilfe statischer Kondensation verwendet. Die auf A.E.H. Love beruhende Hypothese, die Krümmungsanteile über die Dicke der Schale zu vernachlässigen, wird nicht berücksichtigt. Biege- und Membrananteile sind somit infolge der Nebendiagonalblöcke in der Materialmatrix gekoppelt. Desweiteren erfolgt keine Vorabintegration der konstitutiven Gleichungen, wodurch die auftretenden statischen und kinematischen Variablen in den Schalengleichungen den Spannungen und Verzerrungen und nicht deren Resultierenden entsprechen.
Mit zunehmender Schalendicke ist der Einfluss von Querschubdeformationen auf die Gesamtverformungen und damit auf die gesamte Verzerrungsenergie des Systems als wesentliche zusätzliche Größe zu beachten. Für das in dieser Arbeit entwickelte Schalenmodell mit Reissner-Mindlin-Kinematik, werden die Annahmen der kirchhoff-loveschen Schalenkinematik durch Einführen zusätzlicher, von den Verschiebungsableitungen unabhängigen Parametern erweitert. Das Einbringen dieser Parameter in die kinematischen Gleichungen erfolgt durch einen hierarchischen Differenzvektor und ermöglicht somit die Abbildung von Querschubeffekten. Aufgrund der Inextensibilitätsbedingung für den Schalendirektor in der aktuellen Konfiguration ist lediglich die Einführung von zwei zusätzlichen Parametern nötig. Um zu gewährleisten, dass die Reissner-Mindlin-Schale in Dickenrichtung während der Deformation weder gestaucht noch gedehnt wird, werden die Komponenten des Differenzvektors als Funktion der Basisvektoren der Schalenmittelfläche in der Referenzkonfiguration beschrieben.
Für die Berücksichtigung der Dickenänderung der Schale wird in dieser Arbeit zudem ein 7-Parameter-Schalenmodell entwickelt, welches einer Erweiterung des Reissner-Mindlin-Modells mit fünf Parametern entspricht. Das 7-Parameter-Modell ermöglicht eine Dehnbarkeit des Schalendirektors und besitzt sowohl konstante, als auch lineare Spannungs- und Verzerrungskomponenten über die Schalendicke. Zudem entfällt die Notwendigkeit der Modifikation der Konstitutivgesetze. Dreidimensionale Materialgesetze können direkt verwendet werden.
Die wesentliche Neuerung und Innovation in dieser Arbeit ist die hierarchische Parametrisierung der Familie von 3-, 5- und 7-Parameter-Schalenmodellen, welche signifikante Vorteile im Hinblick auf Modelladaptivität und Elementtechnologie mit sich bringt. Üblicherweise wird bei schubweichen Reissner-Mindlin-Schalenelementen der Differenzvektor auf den Direktor der unverformten Konfiguration addiert. Dies führt zu geringeren Kontinuitätsanforderungen an die verwendeten Funktionsräume gegenüber jenen von Kirchhoff-Love-Schalenelementen. Im Fall einer reinen Verschiebungsformulierung tritt gleichzeitig Querschublocking auf, was in mehreren numerischen Beispielen verifiziert wird. Neben dieser in der Arbeit angewendeten Standardvorgehensweise wird eine hierarchische Parametrisierung des Reissner-Mindlin-Schalenmodells entwickelt. Eine vektorielle Größe, die physikalisch nur dem Schubanteil entspricht wird dabei auf die gedrehte Normale des Kirchhoff-Love-Modells addiert. Die kinematischen Gleichungen nach Kirchhoff-Love werden somit lediglich um den Schub erweitert, ohne dass eine komplette Neuformulierung, wie bei der nicht-hierarchischen Reissner-Mindlin-Schale, erforderlich ist.
Beide genannten Parametrisierungen beschreiben dasselbe Schalenmodell. Der hierarchische Ansatz folgt im Wesentlichen den Ausführungen von Başar and Krätzig (1985) und wird für Reissner-Mindlin-Schalenelemente in ähnlicher Form in Long et al. (2012) angewendet. Die ursprüngliche Absicht in Başar and Krätzig (1985) war, über eine hierarchische Parametrisierung der Gesamtverformung mit unabhängigen Biege- und Schubanteilen aus Reissner-Mindlin-Schalenmodellen durch Vernachlässigen des Schubvektors Kirchhoff-Love-Theorien zu generieren. Im Hinblick auf das diskretisierte Modell führt die hierarchische Parametrisierung dazu, dass Reissner-Mindlin-Schalenelemente bereits bei einer reinen Verschiebungsformulierung durch die Entkopplung von Biege- und Schubdeformationen kein Querschublocking aufweisen.
Die hierarchische 7-Parameter-Formulierung stellt eine Erweiterung der hierarchischen 5-Parameter-Variante dar. Für die Berücksichtigung der Dickenänderung, sowie konstanter und linearer Normalverzerrungen in Dickenrichtung, wird das Reissner-Mindlin-Modell um einen sechsten und siebten Verschiebungsparameter angereichert, was zu einem quadratischen Verschiebungsverlauf über die Dicke führt. Durch systematisches Deaktivieren der sechsten und siebten Verschiebungsparameter kann andererseits aus der Kinematik des hierarchischen 7-Parameter-Modells jene der hierarchischen Reissner-Mindlin-Formulierung generiert werden. Wird darüber hinaus zusätzlich der hierarchische Differenzvektor entfernt, erhält man die kinematischen Schalengleichungen nach Kirchhoff-Love. Dies ermöglicht das gleichzeitige Verwenden aller drei Elementtypen innerhalb eines Finite-Elemente-Netzes je nach Bedarf und stellt somit eine ideale Grundlage für Modelladaptivität dar. In numerischen Experimenten kann zudem gezeigt werden, dass für die hierarchischen 7-Parameter-Schalenelemente dieser Arbeit, im Gegensatz zu den nicht-hierarchischen Schalenelementen, bei einer reinen Verschiebungsformulierung neben Querschublocking auch Krümmungs-Dicken-Locking automatisch vermieden wird.
Im Gegensatz zu den verminderten Kontinuitätsanforderungen an die Verschiebungsfunktionen der nicht-hierarchischen 5- und 7-Parameter-Schalenformulierungen, müssen alle hierarchischen Varianten die Anforderungen der schubstarren Kirchhoff-Love-Schale erfüllen, welches das Basismodell der hierarchischen Formulierungen ist. Ansatzfunktionen mit C1-Kontinuität lassen sich jedoch ohne großen Aufwand mit den in dieser Arbeit verwendeten höher-kontinuierlichen NURBS Funktionen definieren. NURBS sind der im Bereich des CAD am weitesten verbreitete Funktionstyp und werden hier als Ansatzfunktionen der isogeometrischen Methode nach Hughes et al. (2005) und Cottrell et al. (2009) verwendet. Neben dem Erfüllen der Kontinuitätsanforderungen entsprechend dem Schalenmodell, erlaubt die Anwendung von NURBS mit höherer Kontinuität zudem eine eindeutige und punktweise exakte Definition des Schalendirektors im gesamten Gebiet.
In numerischen Experimenten wird der Einfluss von NURBS Diskretisierungen mit höherer Ordnung und Kontinuität auf die Genauigkeit der diskreten Lösungsfunktionen untersucht. Die dabei ermittelten Berechnungsergebnisse weisen gegenüber den C0-kontinuierlichen Lösungen geringere Fehler auf. Des Weiteren werden die bei verschiebungsbasierten isogeometrischen finiten Schalenelementen am häufigsten vorkommenden Lockingphänomene einzeln untersucht. Neben dem bereits erwähnten Querschublocking und Krümmungs-Dicken-Locking, tritt bei allen entwickelten Elementformulierungen Membranlocking auf. Um dies zu vermeiden, werden zwei neue Strategien entwickelt, welche sich für NURBS Diskretisierungen mit beliebiger Kontinuität und Polynomordnung eignen. Zum einen wird die auf Bletzinger et al. (2000) beruhende DSG-Methode für den Membrananteil der NURBS-basierten Schalenelemente weiterentwickelt, um sowohl Membran- als auch in-plane Schublocking zu vermeiden. Das zweite Verfahren basiert auf einem gemischten Verschiebungs-Spannungs-Ansatz auf Grundlage des Hellinger-Reissner-Zweifeldfunktionals. Die mit beiden Methoden modifizierten Kirchhoff-Love- und hierarchischen 5- und 7-Parameter-Schalenelemente sind völlig frei von geometrischen Lockingeffekten. Infolge kontinuierlicher Verzerrungs- und Spannungsfunktionen kann die NURBS-DSG-Methode zur Kopplung von Freiheitsgraden führen, was die Recheneffizienz negativ beeinflusst.
In mehreren Benchmarkbeispielen wird die Leistungsfähigkeit der neu entwickelten hierarchischen Schalenelemente gezeigt. Die Ergebnisse der Verschiebungsformulierungen stimmen dabei gut mit den Berechnungsergebnissen aus der Literatur überein, siehe zum Beispiel Kiendl et al. (2009). Durch das zusätzliche Beseitigen von Membranlocking kann zudem ein deutlich schnelleres Konvergenzverhalten der numerischen Schalenlösungen zu den Referenzergebnissen erzielt werden. Für komplexe Geometrien, welche die Definition mehrerer NURBS Flächenpatches erfordern, wird zur Kopplung von Patchen die in Kiendl et al. (2010) entwickelte "bending strip"-Methode verwendet. Bezüglich geeigneter Steifigkeitsparameter der bending strips wird auf die Auswertungen in Kiendl (2011) zurückgegriffen.
Bei der isogeometrischen Analyse von stark gekrümmten beziehungsweise dicken Schalenstrukturen lassen sich deutliche Unterschiede in den Berechnungsergebnissen der verwendeten Schalenmodelle (3-, 5- und 7-Parameter) feststellen. Der Einfluss aus Querschub und mechanischen Effekten höherer Ordnung nimmt jedoch mit zunehmender Schlankheit der Schale schnell ab. Im Hinblick auf modelladaptive Diskretisierungen werden außerdem bei den hierarchischen Reissner-Mindlin-Schalenelementen jene Freiheitsgrade deaktiviert, welche zum Schubvektor gehören. Die dabei erhaltenen Berechnungsergebnisse stimmen exakt mit denen der schubstarren 3-Parameter-Schalenelemente überein.
Projektdaten
Projekttitel:
Isogeometrische Analyse von Schalen
Bearbeitung:
Ralph Echter